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Die Stadt |
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Seien Sie mißtrauisch, wenn Evi Ihnen Steine zeigt, sie
sind lebendig ! Als ich das erste Mal sah, dass Evi eine Statue in ihr Spiel brachte, war diess eine weibliche Figur aus einer Monumentalskulptur im Musée d´Orsay, von der sie ein Foto gemacht hatte. Evi hatte die Textur des Steines durch eine hübsche Fleischfarbe ersetzt, eine sehr weiche, sehr überzeugende Farbe, und dann, weil die Originalstatue offensichtlich im Todeskampf war, hat sie einen Blutfaden hinzugefügt, der aus dem wunderbaren Mund der Frau floss. "Siehst du", sagte sie zu mir, "Ich
habe sie lebendig gemacht
!" Um auf diesem Pfad weiterzugehen, waren andere Skulpturen nötig, viele andere, und während eines Besuchs auf dem Friedhof Père Lachaise hat Evi alle möglichen Arten von Skulpturen auf den Gräbern fotografiert. Aber im Grunde konnte das nicht funktionieren. Es gab ein grundsätzliches Problem, das sie nicht bedacht hatte, denn diese Statuen hatten schon ihr Leben gehabt und es ist sehr schwer, einem Wesen, das schon ein echtes Leben gehabt hat, ein imaginäres zu geben. Und es war auch so schon zu viel Leben auf dem Père Lachaise. Da waren die Besucher, die Spaziergänger, die Katzen, die Verliebten, das dumpfe Raunen der Stadt rundherum und vor allem die Bäume. Die Bäume, die Grabsteine umdrehten, Kreuze umwarfen, in die Grabkammern eindrangen und selbst die Kapellen bedrohten. Die Bäume, die den Raum auf ihre Art in ein souveränes Chaos verwandelten. An dieser Stelle, auf dem Grund der dunklen Spalten, die von der Kraft der Wurzeln geöffnet wurden, haben manche Trugbilder ihren Ursprung. Und dann die Stadt. Die Ordnung der FriedhöfeDie Friedhofsarchitektur inspiriert sich oft an der gewöhnlichen Architektur oder sie gründet sich zumindest auf einem Abglanz, der mehr oder weniger durch religiöse Anschauungen und Totenriten, die gerade in Mode sind verändert wird. Das heißt, dass die Friedhofsordnung zu überdauern versucht, oder genauer gesagt, dass sie die soziale Ordnung über den Tod hinaus einzugravieren versucht, genauso wie es die gewöhnliche Architektur im Städtebau zu tun versucht. Ich kenne kein Architekturbuch, das sich auf
eine Vergleichsstudie
der Entwicklung dieser beiden Techniken eingelassen hat. Auf dem Père Lachaise sind es die Familien, die miteinander in Form von Kapellen rivalisieren, die auf dieser und jener Seite einer Allee aufragen, genauso wie sie im wirklichen Leben in der Geschäftswelt in einem Wettbewerb standen, miteinander konkurriert und ihren Reichtum zur Schau gestellt haben. Am Montparnasse hingegen tendiert diese bürgerliche Ordnung aus dem 19.Jahrhundert in Einzelgräber zu zerfallen, die die Zerstörung der Familie und die Auflösung sozialer Beziehungen, die für die große Industrie charakteristisch sind, widerspiegeln Steine und StatuenEs war immer und überall so, dass der Mensch,
seit er zu schreiben
und zu bauen gelernt hat, Namen in Steine graviert hat, in die der
Städte
und in die der Friedhöfe. Und die Architektur, sei es die der
Toten
oder die der Lebenden beruht also auf der Textualität, auf der
Inschrift.
Die Basis der Architektur ist die Grabsäule. Und die Inschrift
ist
diese unsinnige Bewegung von Macht und Erinnerung, um über das
Leben
hinaus und gegen das Lebens zu bestehen. Was zeigt uns also Evi ? Statuen, das heißt mit Inschriften versehenes, versteinertes Leben, die aber trotzdem auf so wunderbare Weise lebendig sind in ihrer Bewegung oder in der Ermattung ihres Vergnügens, in der Verbreitung ihrer Zärtlichkeit, dass man ihr Lachen nicht überhören kann. Ein flüssiges Lachen, das so gewaltig ist, wie die Flut, die ansteigt und die eingravierte Ordnung sowohl der Stadt der Lebenden als auch der Toten überflutet. Ein Lachen, in dem jegliche Inschrift verblasst, sich verschleiert und sich schließlich verflüchtigt. Ein Lachen ohne Namen also, und von solch einer Unabhängigkeit, dass es weder durch Humor noch durch Ironie befleckt werden könnte. Ein Lachen, das nichts anderes ist, als diese autonome Lebensfreude selbst, die - wie auch die Bäume des Père Lachaise - die alle Dinge von oben nach unten kehrt und Familiengräber und Kapellen zerstört, wo die Überreste der Körper und der Ideen ruhen. Eine Lebensfreude, die trotzdem alles begriffen, akzeptiert und die den Frieden und die anmutige Sanftheit des Todes festgehalten hatDas fehlende MaskulinumMan muss eine Frau sein um es zu wagen, dies zu zeigen.
Es ist diese
besondere Beziehung nötig, die oft Frauen zu den
Gräbern haben.
Man möge zuerst glauben, dass sich diese Beziehung nur auf
einige
Frauen beschränkt, weil sie eine merkwürdige
Besonderheit haben,
bis man plötzlich bemerkt, dass es im Französischen
kein Maskulinum
für Weinende
gibt und man soll ja nicht glauben, dass dies nur die Schwäche
einer
Sprache ist... Ich muss sagen, dass ich die Weinenden schon immer ein bisschen einer fürchterlichen Heuchlerei verdächtigt habe. Aber die Lektüre des Buches "Woman of value, men of renown" von Annette Weiner über die Kultur auf den Trobriandischen Inseln, hat mich kürzlich dazu gebracht, die Dinge in einem anderen Licht zu sehen. Es scheint eher so zu sein, dass die Frauen in den Begräbniszeremonien nicht so sehr zum Beweinen des Toten da sind, sondern um ihn zurück zu begleiten. Ihre Rolle besteht darin, die sozialen Bande zu zerstören, in die sein Leben eingraviert war und ihn in die Namenlosigkeit zurückzuführen, in’s Dala, eine Art Machtsubstanz zum Weiterbestehen des Ursprungs, der allen Mitgliedern eines Stammes gemeinsam istSanfte Frauen Mit anderen Worten scheint es mir, dass die Weinenden
dazu da sind,
den Toten in die Unvernunft
zurückzuführen. Ich will damit
sagen, zurück in eine Domäne der Realität,
die genau das
Gegenteil der Inschrift ist, in einer Bewegung, die
entgegengesetzt
und symmetrisch zu jener ist, durch welche Mütter durch die
Empfängnis
und die Geburt ein neues Wesen aus dem Reich des Unbenennbaren in das
soziale
und vernünftige Reich des Namens getragen haben. |
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Anmerkungen : ...aus dem wunderbaren Mund der Frau...
...berührt... ...Ungebührlichkeit... |
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